Koppstoff

Kanaka-Sprak vom Rande der Gesellschaft

Ein Buch ist hier vorzustellen: das letzten Herbst im Hamburger Rotbuch-Verlag erschienene Koppstoff – Kanaka-Sprak vom Rande der Gesellschaft.

Das Buch besteht aus 26 Interviews mit Frauen zwischen 17 und 63 Jahren, von der Schülerin bis zur Verkäuferin und zur Putzfrau, von der Anarchistin bis zur Philosophie-Studentin. Allesamt leben sie am Rand der deutschen Gesellschaft, die sich durch ihr auf den Mysterien von Blut, Boden und Sperma beruhendes Staatsangehörigkeitsrecht definiert. Es sind Einwanderinnen oder deren Töchter und Enkelinnen, mit deutscher oder türkischer Staatsangehörigkeit. Sie selbst bezeichnen sich als Kanaka – wenden das Schimpfwort, mit dem sie bezeichnet und ausgegrenzt werden, um sich selbstbewußt damit zu definieren.

Am Rand zu leben, vom mächtigen „wir“ der Mehrheitsdeutschen zur Minderheit gemacht zu werden (Marginalisierung und Diskriminierung ist eine Frage der [Definitions-]Macht, nicht von statistischen Rechnereien) schärft die Wahrnehmung. Welche das Buch liest, die erwirbt damit sozusagen eine „Brille“, mit der sie Skurrilitäten, Fehler… ungeheuer genau sieht – oder sie blickt in einen Spiegel, und der reflektiert alles andere als ein schmeichelhaftes Bild.

Ein feministisches Mädchenhausprojekt harsch kritisiert zu lesen und zu spüren, daß an der Kritik viel Wahres dran ist (wenn deutsche Feministinnen von vornherein davon ausgehen, daß sie befreites Gebiet sind, während nichtdeutsche Frauen belagerte Wesen sind, die es erst noch zu belehren und zu befreien gilt), macht nicht nur nachdenklich, sondern auch wütend und tut weh.

Wenn Lesben andererseits in den Beiträgen nur abfällig kommentiert werden (und Feridun Zaimoğlu auch keine interviewt hat, die sich selber als lesbisch bezeichnet – obwohl es die unter Deutsch-Türkinnen gibt) – so zeigt dies, daß der geschärfte Blick von einem Rand der Gesellschaft leider noch lange nicht davor schützt, andere zu ignorieren, zu diskriminieren, an den Rand zu drängen.

Die Kritik am mehrheitsdeutschen Rassismus und Spießertum und an der Kontinuität von Nazidenken und -handeln in den politischen Diskussionen und im gesellschaftlichen Leben von heute teilen sicher viele Leserinnen und Leser der SoZ – aber es ist nochmal was anderes, zur Kenntnis zu nehmen, was diese Frauen zu sagen haben, vom Lebensgefühl, der Sichtweise dieses Untergrunds zu lesen.

„Wer schlau ist, stellt sich auf unsere Seite“, lautet die Überschrift des „politischsten“ Beitrags des Buches, der am genauesten reflektiert, wie hier Macht funktioniert (und wie welche davon ausgeschlossen werden). Das Buch ist keine Gebrauchsanweisung, aus der die radikale Linke flugs die „richtige“ Linie ihrer zukünftigen Bündnispolitik ziehen sollte. Aber ein Steinchen in dem Mosaik, das Befreiungspolitik hier ausmachen könnte: So wird hier ein- und aussortiert, und die Stücke, die zu klein, zu groß oder zu bunt sind, kommen auf die Seite. Der Ausschuß formt sich aber langsam zu einem Mosaik, das die grauen, eine Maßeinheit mal eine Maßeinheit großen Stücke daneben ganz schön verblassen läßt…

Ja, die Bastarde kommen, aber nicht mit Döner, Exportladenkitsch, Multikultigetrampel, tränenreicher „In-der-Fremde“-Literatur und schlechtem Rap, goldbehangen im Sultanschick und anatolische Lieder lallend, wie’s der Deutsche gern hätt, wenn überhaupt, sondern mit Qualität, erlernter preußischer Disziplin, angeborenem Feuer unterm Arsch, mitgebrachtem Kulturkoffer, nicht loszuwerdender Sentimentalität und erworbener Widerstandsfähigkeit, denn was nicht tötet, härtet angeblich ab, und es hat uns nicht umgebracht. Hat jemand Angst bekommen? Aber nicht doch. Wer auf unserer Seite steht, braucht keine Angst zu haben.

Keine graue Pflichtlektüre, sondern lustvoll-vergnügliche Perspektive, die sich für uns zu diskutieren lohnt. In diesem Sinne: unbedingt empfehlenswert!

Feridun Zaimoğlu, Koppstoff. Kanaka-Sprak vom Rande der Gesellschaft, Hamburg (Rotbuch) 1998, 136 Seiten, 10,10 €